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Interdependenz, Co-Dependenz und Projektion – Ein Weg zur Versöhnung mit sich selbst und der Welt

Hast du dich schon einmal gefragt, warum du dich in manchen Beziehungen oder Situationen so abhängig oder hilflos fühlst? Warum du immer wieder dieselben ungesunden Verhaltensmuster wiederholst, obwohl du eigentlich etwas ändern möchtest? Wenn ja, dann könnte die ICH-Orientierte Traumaintegration dir dabei helfen, diese Fragen zu beantworten.

Wie die „Blue Marble“-Aufnahme das Verständnis unserer Verbindung mit der Erde veränderte

Am 7. Dezember 1972 schaute die Menschheit aus einer Entfernung von etwa 29000 Kilometern auf ihren Heimatplaneten Erde. Die Crew des Apollo 17 Raumschiffs und der besondere Moment beschenkten uns mit dem bis heute unvergessenen Bild der „Blue Marble“ (=blaue Murmel).

Es war ein Moment der absoluten Stille, des Staunens, des Atemanhaltens. Ein Moment, der in die Geschichte einging, nicht nur, weil uns Menschen gelungen war, die Welt aus dem sogenannten „Overview Effekt“ zu betrachten. Vielmehr noch, weil wir begannen zu erkennen, dass die Welt selbst wie ein Raumschiff war, sie war ein kleiner Punkt im All, allein, es gab keine Versorgung von außen. Unser Planet wurde erkannt als das eigenständige System mit endlichen Ressourcen, das sich in einer Abhängigkeit von uns Menschen befand und unsere Unterstützung brauchen würde, wenn es seiner Aufgabe nachkommen wolle, uns voll zu dienen.

Es war surreal und ergreifend. Denn Wettbewerb, Schaffensdrang, Technologie und Fortschritt hatten uns einerseits bis dahin viele Geschenke und Freiheit bereitet und andererseits viel Selbständigkeit und Freiheit genommen. Sie hatten dem Planeten einerseits gedient und ihn andererseits ausgebeutet. Und sie hatten uns diesen Moment geschenkt. Den Moment des Stillstands. Des Staunens. Der Atempause. Des Reflektierens.

Co-Abhängigkeit vs. Interdependenz: Was sind die Unterschiede?

Was war passiert mit der Synergie aller Lebewesen? Wo war sie geblieben, die Verbindung, die Teamarbeit zwischen Menschen und Natur? Wann war aus der Interdependenz eine Co-Abhängigkeit geworden? Und wie könnten wir zurückfinden in eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen allem, was ist?

Co-Abhängigkeit bedeutet, dass Beziehungen in einem ungleichen Verhältnis stattfinden, und eine Person „über“ der anderen steht. Eine Person fühlt sich in ihrem Selbstwertgefühl von einer anderen Person abhängig und hat oft den starken Wunsch, der anderen zu helfen oder sie zu „reparieren“. Die Bedürfnisse und Wünsche der anderen Person werden über die eigenen gestellt, es entstehen Schuldgefühle. Man ist auf das Lob und die Anerkennung der anderen Person angewiesen, das eigene Glück wird eher in Beziehungen zum Gegenüber als in sich selbst gesucht. Anhaftungen, Bindungs- oder Verlustängste entstehen.

Im Gegensatz dazu steht Interdependenz für eine Beziehung, die aus einem Austausch besteht, in dem beide Partner unabhängig und autonom handeln und in der Lage sind, eigenständig zu handeln. Man fühlt sich eng miteinander verbunden und verflochten als Einheit und ist gleichzeitig in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen. Macht und Verantwortung sind gleichmäßig aufgeteilt, und die Personen in der Beziehung unterstützen sich gegenseitig in der Integration und Umsetzung der unabhängigen Ziele.

Co-Abhängigkeit ist somit ein ungesundes Muster, das auf der Idee beruht, dass man für das Glück und Wohlbefinden anderer verantwortlich ist und die eigenen Bedürfnisse und Grenzen hintenanstehen müssen. Dies kann nicht nur zu negativen Auswirkungen auf die eigene psychische Gesundheit führen, sondern auch zu einer Überbeanspruchung und Ausbeutung von Ressourcen, sei es in zwischenmenschlichen Beziehungen oder in Bezug auf den Planeten.

Interdependenz hingegen erkennt an, dass wir alle miteinander verbunden sind und dass eine gesunde Beziehung auf einer wechselseitigen Unterstützung und einer gleichberechtigten Verteilung von Macht und Verantwortung basiert. Es geht darum, die Bedürfnisse und Grenzen des anderen zu respektieren und gleichzeitig auf die eigenen zu achten.

Warum ein Trauma zu Co-Dependenz führen kann

In der ICH-Orientierten Traumaintegration nach Dagmar Strauss (https://www.schule-ICHentwicklung.de) spielt die Spaltung der Persönlichkeit nach einem Trauma eine zentrale Rolle. Durch eine traumatische Erfahrung kann sich ein Teil der Persönlichkeit vom Rest abspalten und im Inneren der Person weiter existieren. Der abgespaltene Ich-Anteil wird dabei von einem Überlebens-Ich-Anteil im Innen gut überwacht und kann somit nicht mehr bewusst wahrgenommen werden. Eine solche innere Spaltung kann dazu führen, dass die traumatisierte Person unbewusst co-abhängige Verhaltensmuster entwickelt, um sich vor einer erneuten Traumatisierung zu schützen.

Co-Abhängigkeit in der Trauma-Theorie ist also ein Zustand, in dem eine Person abhängig von der Zustimmung, der Bestätigung und der Unterstützung einer anderen Person ist. Es entstehen ungesunde Beziehungen, die oft von Kontrolle, Manipulation und Schuldzuweisungen geprägt sind. Die co-abhängige Person verliert sich oft in der Beziehung und vernachlässigt ihre eigenen Bedürfnisse. Sie lebt somit oft in einem Zustand der Selbstverleugnung und Selbstentfremdung, wodurch die eigene Persönlichkeit unterdrückt wird.

Doch wie hängt diese innere Spaltung mit Co-Dependenz im Außen zusammen?

Ein abgespaltener ICH-Anteil im Innen führt immer auch zu einer Projektion im Außen. Über die Projektion im Außen auf eine bestimmte Person oder eine Situation entsteht – analog zur Beziehung mit dem abgespalten traumatisierte ICH-Anteil im Inneren – jetzt auch im Außen eine Co-Dependenz. Wir (oder besser unser Überlebens-Ich-Anteil) kommen „getriggert“ durch die Begegnung oder die Situation im Außen in eine Stresssituation. Für den Überlebens-Ich-Anteil bedeutet diese Begegnung im Außen nämlich höchste Gefahr, denn dieser Anteil ist ja verantwortlich dafür, den traumatisierten ICH-Anteil um jeden Preis unter Kontrolle zu halten.

In so einer Situation können wir nicht mehr zwischen Innen und Außen unterscheiden und lebt somit in einer Art Illusion. Unsere Psyche sieht in diesem Moment nicht mehr klar „was ist“, sondern durch die Projektion den abgespalten traumatisierte ICH-Anteil. Das bedeutet, dass die traumatisierte Person unbewusst ihre eigenen unerfüllten Bedürfnisse und Wünsche auf die andere Person projiziert.

Im Moment des Traumas hat der Überlebens-Ich-Anteil eine sehr wichtige Schutzfunktion übernommen. Die traumatische Situation hätte uns in diesem Moment komplett überwältigt und unsere Gefühlswelt komplett überfordert. Im Hier und Jetzt ist dieser Schutzmechanismus jedoch eher limitierend und hält uns in Co-Dependenz gefangen.

Die Versöhnung mit sich selbst

Wie oft haben wir schon versucht, im Außen unsere Probleme zu lösen, uns aus der Co-Dependenz zu einer Person oder Situation zu befreien? Und wie oft merken wir, dass wir uns durch diesen Kampf im Außen meistens nur noch tiefer in die Abhängigkeit begeben. Wie können wir nun aus diesem Teufelskreis ausbrechen? Die Antwort liegt in der Integration des abgespaltenen ICH-Anteils.

Das Bewusstsein, dass der Ursprung der Co-Dependenz eigentlich in unserem Inneren zu suchen ist, ist der erste Schritt in die Unabhängigkeit. Es geht also darum, dass wir uns mit unseren abgespaltenen ICH-Anteilen beschäftigen und uns im Hier und Jetzt, als erwachsene Personen, mitfühlend mit diesem Anteil wieder verbinden. Und es geht darum, unseren Überlebens-Ich-Anteil zu erkennen und diesen zu überwinden. Dieses „Überwinden“ der Überlebensanteile ist meistens mit einem tiefen Schmerz verbunden. Wir müssen fest verwurzelte Verhaltensmuster und Glaubenssätze loslassen. Muster, die oft sogar auf unseren größten persönlichen Talenten aufbauen. Talente und besondere Fähigkeiten, die wir oft auf eine ungesunde Art und Weise „perfektioniert“ haben, nur um die Abspaltung zu unserem traumatisierten ICH noch sicherer zu machen. Bin ich jedoch den Weg durch das „Tal der Schmerzen“ gegangen, kommt es zu einer echten Begegnung mit mir selbst, mit einem Teil von mir, der wahrscheinlich schon sehr lange auf mich gewartet hat. Einem Anteil, mit dem ich mich jetzt als reife Person im Hier und Jetzt mitfühlend verbinden kann. Einen Anteil, den ich jetzt einen Platz in meinem Herzen geben kann. Der traumatisierte ICH-Anteil wird in diesem Moment zu einer echten Ressource für mein weiteres Leben.

Ein Weg zur Interdependenz – jenseits von Projektion

Die Integration unserer abgespaltenen ICH-Anteile ist nach der Trauma-Theorie somit ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Versöhnung mit sich selbst und der Welt. Durch die Integration des abgespaltenen ICH-Anteils kann die traumatisierte Person lernen, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche wieder wahrzunehmen und auszudrücken. Dadurch kann sich die Co-Abhängigkeit im Inneren zu einer echten Interdependenz wandeln.

Gleichzeitig führt die Integration des abgespaltenen ICH-Anteils dazu, dass die Projektion im Außen endet. Die Person, auf die zuvor der abgespaltene ICH-Anteil projiziert wurde, kann nun auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Eine neue Beziehung kann entstehen, die jenseits der Co-Abhängigkeit liegt. Jetzt kann eine interdependente Beziehung entstehen, in der beide Personen ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche wahrnehmen und ausdrücken können, ohne dass eine Person ihre eigene Persönlichkeit unterdrücken muss.

Die Erkenntnis, dass meine „Probleme“ im Außen im Innen gelöst werden können ist für mich erleichternd, denn bei der Suche in mir kann ich mich ganz auf mich selbst verlassen und muss mich nicht (schon wieder) von anderen abhängig machen. Es geht darum, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen und uns bewusst zu machen, dass wir selbst alle Fähigkeiten haben, Veränderungen herbeizuführen. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass wir allein für das Glück und das Wohlbefinden anderer verantwortlich sind und uns stattdessen auf eine wechselseitige Unterstützung und eine gleichberechtigte Verteilung von Macht und Verantwortung konzentrieren.

Versöhnung mit der Welt

Mit der Erkenntnis, es kommt auf mich an, wird auch die Ohnmacht angesichts der vielen, schier überwältigenden Probleme in der Welt leichter. Denn „aufgeräumt“ in meinem Inneren und damit ohne Projektionen im Außen, kann ich klar sehen, was ist. Und ich kann mich im Hier und Jetzt mit allem, was ist, verbinden und so beginnen, ein Leben in Interdependenz auch mit der Welt zu leben. In Bezug auf den Planeten bedeutet dies, dass wir uns bewusst machen müssen, dass wir Teil des Ökosystems sind und dass unsere Handlungen Auswirkungen auf die Umwelt haben. Es geht darum, uns für Nachhaltigkeit und Umweltschutz einzusetzen und unsere Ressourcen verantwortungsvoll zu nutzen. Die Erkenntnis, dass wir alle Teil des gleichen Systems sind und dass wir alle voneinander abhängig sind, ist ein weiterer Schritt zur Interdependenz. Wenn wir uns auf eine wechselseitige Unterstützung und eine gleichberechtigte Verteilung von Macht und Verantwortung konzentrieren, können wir eine Versöhnung mit der Welt erreichen und eine nachhaltige Zukunft für alle schaffen.